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Zur Programmatik meiner Literatur

Wer Bücher schreibt, kommt nicht umhin festzustellen, daß es eine Unmenge von Büchern gibt, und es drängt sich die Frage auf, ob das eigene Buch den vielen andern etwas von Wert hinzuzufügen hat. Im Fall von Sachbüchern ist die Frage relativ leicht zu beantworten, eigentlich reicht es schon, wenn sie gut informieren. Und auch für Unterhaltungsbücher gilt, daß sie einen Wert darstellen, wenn sie bloß gut unterhalten.
Wer sich aber an Literatur versucht, muß die Frage erheblich schärfer stellen. Denn der Wert von Literatur klärt sich keinesfalls über den Inhalt, wie auch die Unterhaltsamkeit nichts über ihren Wert aussagt. Sondern der Wert von Literatur klärt sich über das, was sie im Leser anrichtet. Seelisch anrichtet, geistig anrichtet, mit verzögerten Folgen für die reale Welt. Erst das also hat Wert, was den Leser instand setzt: in den Stand, mit sich, seiner Welt, seinem Vorher und Nachher anders, letztlich besser zurechtzukommen. Im Leser vollzieht sich, wenn Literatur Wert hat, eine produktive Wandlung, parallel zur Produktivität des Autors.
Es gibt viele Wege zum Ziel. Mein Weg ist es, den Roman auf klassische Weise neu zu erfinden. Ich knüpfe erzählerisch dort an, wo die literarische Tradition einst abbrach, zeitgleich mit dem Zusammenbruch des Alten Europa im Ersten Weltkrieg. Dann überspringe ich die gesamte experimentelle, politische Moderne bis zum Jahrtausendwechsel, die für mich nichts als ein großer, ratloser Reflex ist auf die verlorene Welt und die unvorstellbare Grausamkeit, in der die alte Welt unterging. Ihre verzweifelten Versuche, in destruierter Form und dekonstruierender Erzählweise dem Untergang künstlerisch zu entsprechen, sind so verstehbar wie vergeblich. So wenig aus der Negation des Erlebten folgt, so wenig folgt aus der Anverwandlung an die Negation. Anders gesagt hilft es nicht, den Zusammenbruch in eine generelle Trümmerperspektive zu überführen. Noch anders gesagt bin ich nicht der Meinung, daß nach Auschwitz kein Gedicht mehr geschrieben werden kann, sondern daß gerade nach Auschwitz Gedichte zu schreiben sind. Nicht um zu übertünchen, zu vergessen oder subtil zu leugnen, sondern um sich feinerer, tragfähigerer geistiger Kräfte zu versichern, als es die waren, die dem Massenmord nicht widerstanden.
Künstlerisches Erschaffen barg einst die Option bürgerlichen Verdrängens. Was dem Untergang jener Zeit folgte, war ein höchst mißtrauisches Beäugen des im Untergang geborenen modernen Menschens. Worum es mir jetzt geht, ist die positive Hinwendung zum modernen Menschen. Seine Kräfte sind nicht zu wecken, sind nicht beschreibbar und sind auch vor allem nicht künstlerisch zu erfassen, indem die Zersplitterung seiner Welt deckungsgleich gebracht wird mit seiner Seele. Unter den Trümmern ist längst ein neues Gesicht gewachsen, dessen Einsamkeit neue Gefahren beschwört. Uns alle und auch mich selbst mit dem neuen Gesicht vertraut zu machen, es aus seiner Einsamkeit und Selbstverlorenheit zu bergen, es mit allem auszustatten, was einen ganzen Menschen ausmacht, ihm einen Spiegel vorzuhalten, damit Unwissenheit nicht mehr zum Motor grausamster Selbstvergessenheit wird, seine Schönheit und Zweifelhaftigkeit, seine Chancen und Risiken, seine guten und schlechten Seiten auszuloten, bin ich literarisch unterwegs.
Mögen mir und dem Leser manche Findungen glücken!

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